Als der Sohn der Maria Stuart, König Jakob I. von England und Schottland, am 27. August 1605 in Oxford eintraf, wurde er vor dem St.John's College mit einer kleinen Szene begrüßt: drei als Sybillen verkleidete Knaben ehrten ihn als Nachkommen des schottischen Helden Banco. Ein kalkuliertes Risiko, das Matthew Gwinne, der Autor dieser kleinen Szene, einging. Zwar betonte er damit einen Aspekt der Hexerei, aber er hatte ein klares, offizielles Vorbild: Raphael Holinshed lässt in seinen Chronicles of England, Scotland and Ireland, die er 1577 in London veröffentlichte, drei Frauen "von wilder und seltsamer Art, ähnlich den Geschöpfen der Elder World", der Anderen Welt, erscheinen. Sie weissagten Macbeth, dass er König von Schottland werde, und Banco, dass seine Nachkommen und deren Nachkommen das schottische Königreich regieren würden. Obwohl Jakob I. Hexerei - und das Wahrsagen gehörte nach damaligem Verständnis zum Tätigkeitsfeld einer Hexe - verabscheute und unerbittlich und mit aller Macht verfolgte, musste er sich durch diese kleine Szene geschmeichelt gefühlt haben, auch weil sie seine Regentschaft als vom Schicksal gewollt betonte.

Zweifellos waren Shakespeare diese Hintergründe bekannt, als er Macbeth schrieb, "mit einem Auge auf den König gerichtet", wie Peter Ackroyd in seinem Buch Shakespeare. Die Biographie anmerkt. Denn Shakespeare thematisiert die Lieblingsthemen des Königs: die Hexerei und die furchtbaren Konsequenzen der Ermordung eines von Gott eingesetzten Souveräns. König Jakob dürfte das Stück in den ersten Tagen des August 1606 gesehen haben, anlässlich des Besuchs seines Schwagers, König Christian von Dänemark. Ackroyd vermutet allerdings, dass seine Majestät und dessen überaus trinkfreudige Gäste ihre Aufmerksamkeit eher dem Alkohol widmeten als den King's Men und dem Geschehen auf der Bühne.

Giuseppe Verdi kannte Shakespeares Werke in der 1831 veröffentlichten Prosaübersetzung von Carlo Rusconi, und dort fand er im Anhang einige Ausschnitte aus August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. Hier las Verdi: "Er hat ihnen in den kurzen Szenen, wo sie auftreten, eine eigene Sprache geschaffen, die, wiewohl aus den gewöhnlichen Elementen zusammengesetzt, dennoch eine Sammlung von Beschwörungsformeln zu seyn scheint, und worin der Laut der Worte, die gehäuften Reime und der Rhythmus der Verse gleichsam die dumpfe Musik zu wüsten Hexentänzen bilden." Und weiter: "Unter sich reden die Hexen wie Weiber aus dem Pöbel, denn das sollen sie ja seyn; dem Macbeth gegenüber erhebt sich ihr Ton: ihre Weißsagungen, die sie selbst aussprechen, oder von ihren Fantomen aussprechen lassen, haben die dunkle Kürze, die majestätische Feyerlichkeit, wodurch von jeher die Orakel den Sterblichen Ehrfurcht einzuflößen wußten."

Diese Bemerkungen inspirierten Verdi, er setzte sie Eins zu Eins mit den musikalisch-handwerklichen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, um. "In dieser Oper gibt es drei Hauptrollen: Lady Macbeth - Macbeth - der Hexenchor", schrieb Verdi am 8.Februar 1865 an Léon Escudier, seinen französischen Verleger und somit seinem Bindeglied zu Léon Carvalho, dem Impresario des Théâtre Lyrique, in dem die überarbeitete Version des Macbeth über die Bühne gehen sollte. "Die Hexen beherrschen das Drama; alles geht von ihnen aus; sie sind grob und geschwätzig im ersten Akt, erhaben und prophetisch im dritten. Sie bilden eine wirkliche Persönlichkeit, und zwar eine von allergrößter Bedeutung." Und im selben Brief verwahrt sich Verdi gegen den Plan, die Hexen schon im 1. Akt tanzen zu lassen: "Macht es nicht, es ist ein Fehler, denn es verdirbt die Wirkung des Balletts im 3. Akt!" Eine Art Ballett hatte Verdi schon in der ersten Fassung, die er 1847 für das Teatro della Pergola in Florenz schrieb, vorgesehen: die von den Hexen beschworenen Geister sollten im 3.Akt um den ohnmächtigen Macbeth tanzen und ihm "Seele und Sinne trösten".

Vor dem Hintergrund des heutigen musikalischen Wissens provoziert Verdis Hexenmusik eher Assoziationen an Offenbachschen Frohsinn als Gänsehaut, vor allem, wenn man sich den Hexensatz der 1830 uraufgeführten Symphonie Fantastique von Hector Berlioz mit seiner ausgefeilten Instrumentierung ins Gedächtnis ruft. Selbst wenn Verdi dieses Werk gekannt hätte, wovon nicht auszugehen ist, hätte er von der Übernahme mancher Klangeffekte abgesehen. Er war davon überzeugt, dass symphonische Techniken in der Oper nichts verloren hätten. "Oper ist Oper, Symphonie ist Symphonie, und ich halte es nicht für gut, ein symphonisches Stück in eine Oper einzubauen, nur um das Orchester tanzen zu lassen", schrieb Verdi am 10.Juni 1884 an seinen Freund Arrivabene, damit bezog er sich allerdings auf Puccinis erste Oper Le Villi. Verdis Orchester hatte zu unterstützen und nicht zu malen.

So wurzelt das Grauen, das Verdi mit seinen Hexenszenen evozieren wollte, im Kontext der Rolle, die die von männlichen Vorstellungen geprägte Gesellschaft den Frauen zugestand: Eine Frau war entweder ehrbar oder verworfen. Eine Frau hatte sich jungfräulich in den heiligen Stand der Ehe zu begeben und die Eskapaden ihres Ehemannes zu tolerieren, ohne Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Zusammenkünfte gleich gesinnter Frauen waren unter religiösem Aspekt durchaus gestattet. Intellektuellen Ehrgeiz erlaubte man einigen Wenigen, etwa Verdis Freundin Clara Maffei, deren Salon vor allem für die Vordenker des Risorgimento zum Forum wurde. Politisches Denken und Handeln wurde jedoch strikt geahndet: die berühmteste "Politikerin" der frühen Europäischen Geschichte, Jeanne d'Arc, büßte ihre Anmaßung auf dem Scheiterhaufen. Doch die "Zeitläufte" kamen den Frauen zu Hilfe: an der Seite ihrer Männer für ein einiges Italien kämpfend wurden etwa Anita Garibaldi oder Colomba Antonella Porzi als heldenhafte Patriotinnen verehrt und nicht zu "Flintenweibern" gestempelt.

Bis weit ins zwanzigste Jahrhundert jedoch galten Frauen, die gemeinsam auftraten, um für ihre Rechte einzutreten, als "Weiber", als "Blaustrümpfe", als Verräterinnen an der "wahren Bestimmung der Frau", die da hieß: Schweigen, Beten, Kinderkriegen. Wie überhaupt Frauen, die es wagten, selbständig zu denken, ihre Sinnlichkeit auszuleben oder das alte, überlieferte Wissen zu pflegen, mit ihrem Leben spielten. Kräuterfrauen und Hebammen waren zwar nicht die ersten Opfer der Hexenjäger, wurden aber im 17. Jahrhundert umso nachhaltiger verfolgt, weil sie durch ihr Wissen um das Verhindern von Schwangerschaften gesicherte Erbfolgen gefährden konnten, und weil sie durch ihre Kompetenz in Sachen Geburtshilfe eine ernstzunehmende und daher auszurottende Konkurrenz für den erstarkenden Stand der Mediziner waren.

Medial veranlagte Frauen – gerechterweise muss man hinzufügen: "und Männer" – wurden aus religiösen Gründen verfolgt: die Kirche und ihre Stellvertreter konnten es nicht zulassen, dass jemand anderer außer ihnen Verbindung zu einer "anderen Welt" aufnahm, denn nichts anderes sind die Reisen der Schamanen: wilder, das heißt unoffizieller Zugang zu einem anderen Aspekt der Natur. Nur zur Verdeutlichung: was in anderen Religionen als höchstes erstrebenswertes Ziel gilt, die Vereinigung mit dem Göttlichen, ist im christlichen Abendland nur in der symbolischen Handlung der Kommunion gestattet.

Da in den alten Religionen die Muttergöttin in drei Gestalten, der Jungfrau, der gebärfähigen Frau und der alten Frau, verehrt wurde, und als eine bedeutende Möglichkeit der Verehrung sexuelle Hingabe und Erfüllung galt, wurde in den neuen, von Männergottheiten dominierten Religionen sexuell aktive Frauen gehasst und gefürchtet. Ein Mittel, um die Göttinnen zu entthronen und den Menschen die Verehrung der Großen Mutter auszutreiben, war der systematische ideologische Krieg. Sie wurden verteufelt wie Lilith, verleumdet wie die unerträgliche Zicke Hera, als Wahnsinnige, Mörderinnen oder Erpresserinnen dargestellt wie etwa Medea, lächerlich gemacht wie die geschwätzige Fama oder die vom Stier entführte Europa, ins Vergessen gestürzt wie die arabische Allat oder überhaupt umgebracht wie die indische Sati. Nicht zu vergessen die Verteufelung der tierischen Gestalten der Muttergöttin, seien es Schlange, Kröte oder Muttersau.

Und doch hat die Göttin in den verschiedensten Gestalten überlebt: in Maria. Sie ist wieder auferstanden: erst in den Schriften der Mythenforscher Joseph Campbell, Robert Ranke-Graves und anderen, dann in verschiedenen Frauengemeinschaften. Und ihr Gefolge bevölkert als gutmütige, rachsüchtige oder erotisch attraktive Hexen oder auch Zauberer, als Pop-, TV- oder Filmstars die populäre Kultur. Nicht einmal die Kinderzimmer sind frei von den netten Hexen: in irgend einem Eckchen ist bestimmt entweder Bibi Blocksberg oder die kleine Hexe oder auch nur ein Halloween-Hexenfigürchen zu finden.

Wo ist der Anfang zu suchen? Bei Simone de Beauvoir, die dem Denken der Frauen auf die Sprünge half? Bei den italienischen Feministinnen, die in den Siebziger Jahren mit dem Spruch "Tremate, tremate, le streghe son tornate - Zittert und fürchtet euch, die Hexen sind wieder da!" gegen das Abtreibungsverbot demonstrierten? Ist die italienische Politikerin Emma Bonino, die 2006 bis 2008 Handels- und Europaministerin im zweiten Kabinett von Romano Prodi war und seit Mai 2008 Vizepräsidentin des Senats ist, wirklich eine Hexe - wie Papst Paul VI. behauptet hat, als sie 1975 das "Centro di Informazione Sterilizzazione e Aborto", das "Informationszentrum für Sterilisierung und Abtreibung" gegründet hat? Dieser Titel hätte schon eher Elga Sorge zugesprochen werden müssen, jener feministischen evangelischen Theologin, die in ihrem Hauptwerk Religion und Frau: Weibliche Spiritualität im Christentum, das 1987 in 2. Auflage als Taschenbuch erschienen ist, die Bibel in wesentlichen Teilen umdeutete: etwa "Gott" durch "die Erdgöttin" ersetzte, oder die "Zehn Erlaubnisse" oder das "Mutterunser" niederschrieb.

Oder begann doch alles mit den beiden Weltkriegen, die die Frauen in die Selbständigkeit trieb, weil sie ohne Männer überleben mussten und wollten?

Zwei kleine Anmerkungen zum Schluss: die Parade-Fernseh-Hexen, die als "Desperate Housewives" Kultstatus erreicht haben, wurden – wie man unschwer am zwischenmenschlichen Verhalten der Damen erkennen kann – von einem Mann, Marc Cherry, erfunden. Und: in einem Mitte November 2009 veröffentlichten Interview erklärt der VP-Mandatar und Bankmanager Michael Ikrath, weshalb es immer noch so wenige Frauen in Top-Jobs gibt: "Männer haben sozusagen Angst, von Frauen verschlungen zu werden. Diese Angst versuchen sie zu überwinden, indem sie Frauen aus wichtigen gesellschaftlichen Strukturen ausgeschlossen und in den privaten Raum gedrängt haben."


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